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sozial & Soziales Teil 4

sozial & Soziales Teil 4

 

Entwicklung

Ferdinand de Saussure

Als Begründer des Strukturalismus gilt der Genfer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vorlesungen über Allgemeine Sprachwissenschaft hielt (Cours de linguistique générale), in denen er die Grundlage für seine neue Methode schuf. Seine Vorlesungen wurden erst postum 1916 veröffentlicht. Laut Saussure gründen die einzelnen Redeereignisse (parole), durch die die Möglichkeiten des Systems (langue) variantenreich verwirklicht werden, in einem Beziehungsgefüge, dessen Glieder nicht substantiell bestimmt sind, sondern „in dem Geltung und Wert des einen nur aus dem gleichzeitigen Vorhandensein des anderen sich ergeben.“ De Saussure versteht Sprache als ein System von Zeichen, das heißt von im Prinzip arbiträren Verbindungen von Signifikant (Ausdruck) und Signifikat (Inhalt). Ein Zeichen sei nicht die sinnliche Inkarnierung einer zuvor bestehenden mentalen Bedeutung. Bedeutung werde allein durch Zeichen erzeugt. Bedeutung entstehe nicht durch Referenz auf Gegenstände oder Gedanken, sondern allein durch die Unterschiede des Zeichens zu anderen Zeichen im System. Neuartig ist bei Saussure die Anwendung präziser Analysemethoden mit Anleihen an denen der Naturwissenschaften auf einen Gegenstandsbereich wie den der Sprachwissenschaft. Viele Konzeptionen der modernen semiotischen Teildisziplinen haben hier ihre Ursprünge. Von Struktur spricht de Saussure aber nur am Rande und in untergeordneter Bedeutung, von Strukturalismus spricht er gar nicht.

Roman Jakobson

Einer der prägendsten Strukturalisten des 20. Jahrhunderts war Roman Ossipowitsch Jakobson, ein Hauptvertreter des Prager Strukturalismus. Er arbeitete strukturalistische Zeichen-, Sprach-, Kommunikations- und Literaturtheorien aus. Nach Jakobson bedeutet Strukturalismus, Phänomene als ein strukturiertes Ganzes zu betrachten und die statischen oder dynamischen Gesetze des jeweiligen Systems freizulegen. Damit knüpft er an Edmund Husserls Phänomenologie der Sprache an. Phänomenologie fungiere für den Strukturalismus als Fundamentalbetrachtung. Jeder Begriff sei eine phänomenologische Bestimmung. Die Urteilenden seien von ihrem jeweiligen Standpunkt abhängig. Die Fragestellungen seien subjektorientiert. Um den Gegenstand an sich betrachten zu können, sei es erforderlich, das Unwesentliche auszuklammern anstatt vorhandenes Wissen anzuhäufen und eine Synthese zu bilden. Die Differenzqualität des Gegenstands gegenüber anderen Gegenständen sei zu berücksichtigen.

„Die Überwindung der Statik, die Vertreibung des Absoluten, das ist das wesentliche Pathos der neuen Zeit […].“

Roman Jakobson

Jakobson wendet sich gegen eine Zerstückelung des Wissens und setzt sich für eine ganzheitliche Betrachtungsweise ein. Er betonte unter dem Eindruck von Charles Sanders Peirce die Bedeutung der Begriffe Ikonizität (Bildhaftigkeit) und Indexikalität (Kontextabhängigkeit) und unterschied zwischen Metapher und Metonymie. Jakobson erkannte die binaristische Grundstruktur der Sprache, die in allen sprachlichen Operationen wirkt. Rein willkürliche Zeichen existieren nach Jakobson nicht. Alle Zeichen seien in gewisser Weise motiviert. Synchronie und Diachronie bildeten eine untrennbare dynamische Einheit.

„Die Gegenüberstellung von Synchronie und Diachronie war eine Gegenüberstellung von Systembegriff und Evolutionsbegriff. Sie verliert ihr prinzipielles Gewicht, sofern wir anerkennen, dass jedes System notwendig als Evolution vorliegt und andererseits die Evolution zwangsläufig Systemcharakter besitzt.“

Roman Jakobson und Jurij Tynjanov

Claude Lévi-Strauss

Der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss hat mit seinen ethnosoziologischen Studien wichtige Beiträge zur Struktur von Familien, totemischen Clans und den Mythen der Menschheit vorgelegt. Soziales Leben ist für Lévi-Strauss ein Austausch von Zeichen und ein Lesen der Symbole. Es ist für ihn Sprache im weitesten Sinn. Im Fall des soziologischen wie des linguistischen Studiums sei man im vollen Symbolismus. Es sei das Unbewusste, das den gemeinsamen und spezifischen Charakter der sozialen Gegebenheiten schaffe. Das Unbewusste sei verantwortlich für das symbolische Denken, es sei eine Kategorie des kollektiven Denkens. Das Vokabular bekomme Bedeutung für uns selbst und für die anderen nur insoweit, als das Unbewusste es gemäß seinen Regeln organisiere und aus ihm einen Diskurs mache. Das Vokabular bedeute weniger als die Struktur. Die Struktur bleibe die gleiche, und durch sie verwirkliche sich die symbolische Funktion. Lévi-Strauss betrachtet Kultur als einen Zusammenhang symbolischer Systeme, an deren Spitze die Sprache, die Heiratsregeln, die Wirtschaftsbeziehungen, die Kunst, die Wissenschaft und die Religion stehen.

„Wenn, wie wir meinen, die unbewusste Tätigkeit des Geistes darin besteht, einem Inhalt Formen aufzuzwingen, und wenn diese Formen im Grunde für alle Geister, die alten und die modernen, die primitiven und die zivilisierten […] dieselben sind – wie die Untersuchung der symbolischen Funktion, wie sie in der Sprache zum Ausdruck kommt, überzeugend nachweist –, ist es notwendig und ausreichend, die unbewusste Struktur, die jeder Institution oder jedem Brauch zugrunde liegt, zu finden, um ein Interaktionsprinzip zu bekommen, das für andere Institutionen und andere Bräuche gültig ist, vorausgesetzt natürlich, dass man die Analyse weit genug treibt.“

Claude Lévi-Strauss

Die Mythen der unterschiedlichen Kulturen sind nach Lévi-Strauss Modelle eines auf Ganzheit zielenden wilden Denkens. Nicht die Menschen denken in Mythen, sondern die Mythen denken sich in den Menschen ohne deren Wissen. Unabhängig von ihren verschiedenen Inhalten lassen sich die Mythen auf eine vergleichsweise kleine Gruppe sogenannter Mytheme und ihrer Kombinationen zurückführen. Bei den Mythemen handelt es sich um die fundamentalen Einheiten der Mythen, z. B. Held tötet Drachen. Die Mytheme gewinnen ihre Bedeutung nicht durch ihren Inhalt, sondern durch ihre Relation zu anderen Mythemen. Mythos, Dichtung und Literatur sind keine kreativen Schöpfungen, sondern die Produkte struktureller Determination. Die menschliche Wirklichkeit selbst bringt Strukturmodelle hervor. Dabei ist es das Grundprinzip, dass der Begriff der sozialen Struktur sich nicht auf die empirische Wirklichkeit bezieht, sondern auf die nach dieser Wirklichkeit konstruierten Modelle. Ebenso wie das wissenschaftliche Denken beruht das magische Denken auf der Grundannahme, dass die Erscheinungswelt systemhaft ist und damit der Ordnung und Kohärenz unterliegt. Für die Analyse magisch-totemischen Denkens verwendet Lévi-Strauss die Begriffe Kontiguität, Similarität und Opposition. Kontiguität ist zwischen zwei Dingen gegeben, die nahe beieinander liegen und im übertragenen Sinne sowohl struktural wie funktional zum selben System gehören. Bei der Similarität ist nicht die Zugehörigkeit zum selben System Bedingung, sondern dass bestimmte Dinge ein Merkmal oder mehrere Merkmale gemeinsam haben. Die Beziehung wird in diesem Fall also durch den kleinsten gemeinsamen Nenner gestiftet. Bei dem Verhältnis der Opposition werden dagegen Vorstellungen einander zugeordnet, die keinen gemeinsamen Nenner haben und einander ausschließen. Es handelt sich dabei um Gegensätze wie heilig und profan, roh und gekocht, Zölibat und Ehe, männlich und weiblich, zentral und peripher.

„Das magische Denken ist nicht ein erster Versuch, ein Anfang, eine Skizze, der Teil eines noch nicht verwirklichten Ganzen; es bildet ein genau artikuliertes System und ist in dieser Hinsicht unabhängig von dem anderen System, das die Wissenschaft später begründen wird, abgesehen von der formalen Analogie, die sie beide einander näher bringt und die aus dem ersten eine Art metaphorischen Ausdrucks der letzteren macht. Anstatt also Magie und Wissenschaft als Gegensätze zu behandeln, wäre es besser sie parallel zu setzen, als zwei Arten der Erkenntnis, die zwar hinsichtlich ihrer theoretischen und praktischen Ergebnisse ungleich sind […], nicht aber bezüglich der Art der geistigen Prozesse, die die Voraussetzungen beider sind und sich weniger der Natur nach unterscheiden als auf Grund der Erscheinungstypen, auf die sie sich beziehen.“

Claude Lévi-Strauss

In seinem 1962 veröffentlichten Werk Das wilde Denken unterschied Lévi-Strauss zwischen kalten und warmen Gesellschaften. Die Unterscheidung zwischen geschichtslosen Völkern und den anderen sei unglücklich und müsse ersetzt werden. Die kalten Gesellschaften versuchen, mittels der Institutionen, die sie sich geben, auf gleichsam automatische Weise die Wirkung zu annullieren, die die historischen Faktoren auf ihr Gleichgewicht und ihre Kontinuität haben könnten. Die warmen Gesellschaften interiorisieren entschlossen das historische Werden, um es zum Motor ihrer Entwicklung zu machen.

Lucien Goldmann

Lucien Goldmann vertrat einen Ansatz, der als genetischer Strukturalismus bezeichnet wird. Er bemühte sich darum, bestimmte Prinzipien einer dialektischen Literaturkritik herauszuarbeiten und gleichzeitig nach den Beziehungen zwischen der literarischen Schöpfung und dem sozialen Leben zu fragen. Während für den ontologischen Strukturalismus die Struktur eine allem individuellen Denken als strukturierendes Regulativ vorgegebene Wirklichkeit ist, vertritt Goldmann die Auffassung, dass die sinnvolle Struktur im Laufe der Geschichte des menschlichen Geistes von diesem erst hervorgebracht wird. Dabei misst er der Kunst und dem kreativen Künstler eine bedeutsame Rolle zu. Er betrachtet die soziale Gruppe als eigentliches Subjekt der kulturellen Schöpfung. Innerhalb einer sozialen Gruppe bildeten sich Gefühle, Neigungen und Ideen aus. Diese entsprängen der jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Situation und wiesen eine gemeinsame Tendenz auf. Im Kollektivbewusstsein einer Gruppe entwickelten sich so die Elemente einer Weltanschauung, die in großen künstlerischen oder philosophischen Werken ihren kohärenten Ausdruck fänden und deren Struktur derjenigen entspreche, auf welche die Gesamtheit der Gruppe zustrebe. Goldmann geht von einer Homologie zwischen der Struktur der Werke und der Struktur der Weltanschauung einer Gruppe aus. Jede Soziologie des geistigen Lebens gehe vom Einfluss der sozialen Wirklichkeit auf die literarische Schöpfung aus. Für den von Goldmann vertretenen dialektischen Materialismus sei dies ein fundamentales Postulat. Dabei betone der dialektische Materialismus die Bedeutung der ökonomischen Faktoren und die Beziehungen zwischen den sozialen Klassen. Es gebe jedoch zahlreiche Schriftsteller und Philosophen, die einen derartigen Einfluss leugneten. Deren Meinung nach würden die geistigen Werte durch die Verbindung mit den kontingenten Erscheinungen des sozialen und ökonomischen Lebens abgewertet. Einige dieser Philosophen würden in dieser Einstellung noch durch den Wunsch bestärkt, den Marxismus als eine hauptsächlich politische Ideologie zu bekämpfen, die ihrer Meinung nach vor allem die materiellen Bedürfnisse einer ungebildeten und den geistigen Werten gegenüber unaufgeschlossenen Masse befriedigen wolle. Dagegen können nach Goldmann die wahren geistigen Werte nicht vom ökonomischen und sozialen Leben abgetrennt werden. Im Gegenteil wirkten sie gerade innerhalb dieses Lebens, indem sie versuchten, die ihm bestmögliche menschliche Gemeinschaft zu verwirklichen. Goldmann beschreibt die Geschichte als einen Prozess des Abbaus älterer Strukturen und des Aufbaus neuerer Gesamtstrukturen. Geschichte sei ein Prozess der Umstrukturierung mit dem utopischen Ziel, ein Gleichgewicht und einen Ausgleich zwischen den Kräften des Geschichtsprozesses zu finden.

„Der genetische Strukturalismus geht von der Hypothese aus, dass jedes menschliche Verhalten ein Versuch ist, auf eine besondere Situation eine sinnvolle Antwort zu geben, und dass dieses Verhalten dem Gleichgewicht zwischen dem Subjekt der Handlung und dem Objekt, auf das sie sich bezieht, d.h. der umgebenden Welt, zustrebt. Dieses Streben nach einem Gleichgewicht behält indessen immer einen labilen und provisorischen Charakter, da jedes mehr oder weniger befriedigende Gleichgewicht zwischen den geistigen Strukturen des Subjekts und der Umwelt zu einem Zustand führt, bei dem das menschliche Verhalten von sich aus die Welt verändert und dadurch das alte, einst unbefriedigende Gleichgewicht unzulänglich erscheinen lässt und eine Tendenz zu einem neuen Ausgleich hervorruft, der seinerseits später wiederum überwunden werden muss.“

Lucien Goldmann

Eine Struktur in ihrer allgemeinsten Form liegt nach Goldmann vor, wenn die Elemente in einer Totalität verbunden sind, die als Totalität bestimmte Besonderheiten aufweist, und wenn die Besonderheiten der Elemente vollkommen oder teilweise von denen der Totalität abhängen. Goldmann versteht im Gegensatz zum ontologischen Strukturalismus unter Struktur keine archetypische und ahistorische Struktur, die sich in den verschiedenen Einzelwerken immer wieder neu manifestiert. Eine Struktur sei vielmehr innere Kohärenz und Totalität, deren Einzelteile sich gegenseitig erklären und nur von der Gesamtstruktur her verstehen lassen. Wenn die Kriterien der Kohärenz und der Funktionalität der Teile im Rahmen einer Ganzheit vorliegen, spricht Goldmann von einer sinnvollen Struktur. Diese Kriterien seien zugleich die essentiellen Bedingungen einer Struktur. Eine sinnlose Struktur sei ein Widerspruch in sich selbst. Der Begriff der sinnvollen Struktur stelle sowohl eine Wirklichkeit als auch eine Norm dar. Der Begriff der sinnvollen Struktur definiere nicht nur den wirklichen Motor, sondern auch das Ziel, auf das die Totalität der menschlichen Gesellschaft zustrebe. Die Hypothese einer Geschichte, die von dem Streben und den Tendenzen auf eine immer umfassendere, sinnvolle und kohärente Struktur beherrscht werde, sei eine der wichtigsten positiven Hypothesen für die Erforschung der geschichtlichen Wirklichkeit. Die gesellschaftliche Zielvorstellung ist für Goldmann eine transparente Endgesellschaft, die nur aus derartigen Strukturen besteht, die ein sinnvolles und menschenwürdiges Verhalten der Individuen untereinander und zur Gesellschaft gewährleisten.

Jacques Lacan

Strukturalistische Methoden wurden auf kulturelle Phänomene aller Art übertragen, auch auf die Psychoanalyse. Nach Jacques Lacan hat das Subjekt seinen Ursprung im symbolischen System. Das Unbewusste sei wie eine Sprache strukturiert und würde von Sprache hervorgebracht. Lacan leugnet die Einheit des cogito ergo sum, dass also das Ich, das denkt, mit dem Ich, das existiert, identisch wäre. Er behauptet stattdessen: „Ich bin nicht, wo ich denke.“ Lacan postulierte ein „Supremat des Signifikanten“ und entwickelte daraus die Struktur des Unbewussten nach Sigmund Freud. Es gibt nach Lacan keine vorgegebene Zuordnung von Signifikant und Signifikat. Entsprechend besteht auch keine fixe Bedeutung. Die Verbindungen seien jedoch nicht völlig beliebig für jeden Sinn offen. Sie gehorchten vielmehr den rhetorischen Gesetzen der Metonymie (mot à mot) und der Metapher (un mot pour un autre). Derart brächten sie eine „Topik des Unbewussten“ hervor: Die metonymische Struktur zeige an, dass die Verbindung des Signifikanten mit dem Signifikanten die Auslassung (élision) möglich mache, durch die der Signifikant den Seinsmangel (manque de l’être) in die Objektbeziehung einführe. Auf diese Weise entstehe das Begehren (désir).

Gilles Deleuze

Gilles Deleuze versteht Struktur nicht mehr als ein methodisches Instrument der wissenschaftlichen Beschreibung und Erklärung. Es gebe Struktur nur von dem, was Sprache sei; auch wenn es eine esoterische oder nicht verbale Sprache sei. Die Orte hätten den Vorrang vor denen, die sie potentiell ausfüllten, das wahre Subjekt sei die Struktur. Das klassische Subjekt wird bei Deleuze eher zu einem Subjektivitätseffekt der Struktur. Er hat den Strukturalismus anhand von sieben Kriterien in einer Synthese prägnant zusammengefasst:

  1. Das Symbolische ist der Ausgangspunkt. Es dient einer Abgrenzung von Imaginärem und Realem und ist zugleich der Entstehungs- und Seinsgrund der beiden anderen Relationen. Es dient als Struktur einer Gestaltung, die sich aus atomistischen Elementen zusammensetzt, die zugleich von der Bildung des Ganzen und den Abwandlungen ihrer Teile Rechenschaft ablegen wollen.
  2. Die Struktur ist topologisch und relational. Die außerhalb der strukturalen Konstruktion selbst liegende Realität bleibt ebenso ausgeschlossen wie das Imaginäre, das das Symbolische selbst direkt bestimmt. Übrig bleibt nur ein Sinn, der aus der Stellung hervorgeht, den die strukturalen Objekte im Raum und relational einnehmen. Es wird struktural von den Objekten und den strukturalen Texturen her gedacht. Darin liegt zugleich eine Entsubjektivierung. Die Orte sind wichtiger als die Subjekte, die konkret in ihnen platziert sind. Sinn entsteht durch Kombination von Elementen in diesem Raum, wobei die Elemente selbst diesen Sinn noch nicht bezeichnen.
  3. Die Elemente der Struktur sind differentiell organisiert. Das Differenzielle und das Besondere werden betont. Die symbolischen Elemente bestimmen sich gegenseitig als ein System differenzieller Verhältnisse. Sie stehen in einem System von Besonderheiten, die auf diese Verhältnisse Rücksicht nehmen und den Raum der Struktur symbolisieren. Strukturen gibt es für alle Bereiche, in denen symbolische Elemente im Blick auf differenzielle Verhältnisse und besondere Punkte, die diesen eigen sind, bestimmt werden können.
  4. Strukturen sind eine Mannigfaltigkeit virtueller Koexistenz. In diesen Konstruktionen sind Strukturen in gewisser Hinsicht ideale Orte. Sie sind weitgehend unbewusst und virtuell. Von sich geht die Struktur aus zu ihren Aktualisierungen. Dabei differenziert sie sich zeitlich und räumlich und produziert sich in Arten und Teilen. Die Strukturen bleiben in dieser Produktion unbewusst, da sie notwendig von ihren Produkten oder Auswirkungen verdeckt werden. Eine ökonomische Struktur existiert beispielsweise niemals rein. Sie wird von den rechtlichen, politischen und ideologischen Beziehungen verdeckt, in denen sie sich verkörpert.
  5. Die Aktualisierung der Struktur ist immer nur teilweise möglich und geschieht in Serien, zwischen denen eine Verschiebung stattfindet. Die sich bewegenden und differenzierten, in Relationen stehenden Elemente benötigen für ihre Funktionsfähigkeit das Serielle. Nur in der Reihung, in der Wiederkehr entstehen Strukturen, die als symbolische Ordnung erscheinen. Es gibt weder reine Individualität noch reine Kollektivität, sondern nur Intersubjektivität, die in Serien auftritt. Es gibt Wirkung und Wechselwirkung.
  6. Es wird um der Verschiebung willen ein leeres Feld postuliert, das von einem eminent symbolischen und paradoxen Subjekt ausgefüllt wird, das die Verbindung zwischen den Serien herstellt. Es hat keine festgelegte Bedeutung, sondern zeigt einen Sinn-Überschuss an. Die Strukturen werden aus sich heraus betrachtet. Die blinden Flecken, die Beobachter in ihren Beobachtungen aufweisen, werden den Strukturen selbst zugeschrieben. Deshalb haben Strukturen leere Felder, Rätselobjekte. Diese scheinen die Struktur selbst eigentümlich anzutreiben. Oder sie laufen einfach in ihren Serien durch und zirkulieren. Ein letztes Konstrukt, eine Letztbegründung, die das Spiel der Strukturen situiert, bleibt symbolisch leer. Aufgrund des leeren Feldes sind die differenziellen Verhältnisse empfänglich für neue Werte und Wandlungen.
  7. Das klassische Subjekt hat sich den Orten und Relationen unterzuordnen. Deleuze konstatiert ein primäres symbolisches Erfüllen vor jedem sekundären Erfüllen oder Einnehmen durch reale Wesen. Das klassische Subjekt wird dabei aber nicht getötet oder beseitigt. Doch es erscheint nicht mehr als Ganzheit, nicht mehr als klar situiert und platziert. Es steht in unterschiedlichen Abhängigkeiten und zeigt seine Wandelbarkeit.

Weitere Strukturalisten

Es gibt daneben zahlreiche weitere Versuche, die strukturalistische Methode auf alle kulturwissenschaftlichen Disziplinen auszuweiten: auf die Linguistik, mythische Diskurse, die Anthropologie oder beispielsweise auf die Literaturwissenschaft durch Jan Mukařovský, Tzvetan Todorov und Roland Barthes. Louis Althusser unterzog Marx einer ahistorischen, strukturalistischen Untersuchung. Im Bereich der Phonetik wurden schon sehr früh strukturalistische Methoden ausgearbeitet und angewandt. Die Erarbeitung des Lautschriftsystems der IPA/API (International Phonetic Association/Association phonétique internationale) kann mit diesen Anfängen in Zusammenhang gebracht werden. Der kulturbezogene Strukturalismus hatte seine Hochphase in den 1960er bis 1970er Jahren. Strukturalistische Methoden wirkten vor allem in der Semiotik und Literaturtheorie fort. Beziehungen bestehen teilweise auch zur Systemtheorie und zur Psychoanalyse. Anwendungen finden sich u.a. in den Sozial- und Geisteswissenschaften, besonders der Linguistik, der Erkenntnistheorie, der Literaturwissenschaft, der Psychologie, der Soziologie und der Anthropologie bis hin zur Architektur. Jakobsons spätere Tätigkeit in den Vereinigten Staaten beeinflusste noch Noam Chomskys Arbeiten zur generativen Transformationsgrammatik.

Kritik

Von christlicher Seite wurde der Verlust des selbstverantwortlichen Individuums und die damit verbundene Entsubjektivierung der Perspektive bemängelt, von marxistischer Seite eine Versteifung auf die synchronische Systembetrachtung unter Vernachlässigung von Geschichtlichkeit und evolutionärer Entwicklung. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Strukturalismus brachten auch philosophische Strömungen, die später als Poststrukturalismus bezeichnet wurden. Die Diskursanalyse von Michel Foucault ist in ihrer Beziehung zum Strukturalismus umstritten. Foucault selbst hat sich mehrfach kritisch gegen eine einfache Beiordnung zu strukturalistischen Schulen geäußert. Die von Jacques Derrida entwickelte Methode der Dekonstruktion wendet sich ebenfalls kritisch gegen wesentliche Thesen des klassischen Strukturalismus. Auf die Problematik, den Strukturalismus als ein einheitliches Konzept zu bezeichnen, hatte Lévi-Strauss bereits selbst hingewiesen:

„Ich glaube auch nicht, dass man heute noch von einem Strukturalismus sprechen kann. Es gab eine ganze Menge von Richtungen, die sich als strukturalistisch ausgaben, und andere, die man von außen her als strukturalistisch bezeichnete, obwohl sie es nach Ansicht ihrer Vertreter selber gar nicht waren.“

Claude Lévi-Strauss 1979

 

Systemtheorie

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Systemtheorie ist ein interdisziplinäres Erkenntnismodell, in dem Systeme zur Beschreibung und Erklärung unterschiedlich komplexer Phänomene herangezogen werden. Die Analyse von Strukturen und Funktionen soll häufig Vorhersagen über das Systemverhalten erlauben.

Die Begriffe der Systemtheorie werden in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen angewendet, so in der Biologie, der Chemie, der Ethnologie, der Informatik, der Geographie, der Literaturwissenschaft, den Ingenieurwissenschaften, der Logik, der Mathematik, der Pädagogik, der Philosophie, der Physik, der Physiologie, der Politikwissenschaft, der Psychologie, der Robotik, der Semiotik, der Soziologie, der Sozialen Arbeit und den Wirtschaftswissenschaften. Die Systemtheorie ist sowohl eine allgemeine und eigenständige Disziplin als auch ein weitverzweigter und heterogener Rahmen für einen interdisziplinären Diskurs, der den Begriff System als Grundkonzept führt. Es gibt folglich sowohl eine allgemeine „Systemtheorie“ als auch eine Vielzahl unterschiedlicher, zum Teil widersprüchlicher und konkurrierender Systemdefinitionen und -begriffe. Es hat sich heute jedoch eine relativ stabile Reihe an Begriffen und Theoremen herausgebildet, auf die sich der systemtheoretische Diskurs bezieht.

 

Grundlagen

Die Systemtheorie (Ingenieurwissenschaften) wurde in den 1920er Jahren konzipiert. Der Begriff Allgemeine Systemtheorie geht auf den Biologen Ludwig von Bertalanffy zurück. Seine Arbeiten bilden zusammen mit der Kybernetik (Norbert Wiener, William Ross Ashby) und der Informationstheorie (Claude Elwood Shannon, Warren Weaver) die grundlegenden Überlegungen dieses Wissenschaftsansatzes. Weitere wichtige Theorien stammen von Humberto Maturana und Francisco Varela (Autopoiesis), Stuart Kauffman (Selbstorganisation), Bronisław Malinowski und Alfred Radcliffe-Brown (Strukturfunktionalismus) sowie Talcott Parsons (Strukturfunktionalismus oder Systemfunktionalismus) und Niklas Luhmann (soziologische Systemtheorie).

Hauptströmungen der Systemtheorie

Kulturgeschichtlich geht der Systembegriff bis auf Johann Heinrich Lambert zurück und wurde unter anderem von Johann Gottfried Herder übernommen und ausgearbeitet. Dies vollzieht sich vor allem an der Frage, wie man lebende Organismen und deren Selbsterhaltung und -organisation verstehen kann. Hieran entwickelt sich ein Vokabular, das „interne Gleichgewichte“ kennt, „Ausgleichsbewegungen“ und „Kraft“ als die Möglichkeit über sich hinauszugreifen, womit es dem System eine innere Dynamik gibt, eine Aktivität, die das System nicht darauf beschränkt passiv Impulse von außen zu empfangen. Der biologische Organismus wird als ein System aufgefasst, in dem keines der Teile die alleinige Herrschaft über andere hat, sondern sie in steter Wechselwirkung zueinander aufgefasst werden müssen. Wenngleich diese Überlegungen noch frei von dem Wunsch sind, eine Systemtheorie zu entwickeln, bilden sie den Nährboden für spätere Ansätze.

Die moderne Systemtheorie beruht auf unabhängig voneinander entwickelten Ansätzen, die später synthetisiert und erweitert wurden: Der Begriff Systemtheorie bzw. Systemlehre stammt von Ludwig von Bertalanffy (vgl. „General Systems Theory“). Von Bertalanffy spricht von offenen Systemen und entwickelt den Begriff der organisierten Komplexität, der den dynamischen Austausch mit der Umwelt beschreiben soll. Erst mit der Ausformulierung des Informationsbegriffes ließ sich dieses Konzept jedoch weiter generalisieren. Bereits 1948 hatte Norbert Wiener mit „Cybernetics“ (Kybernetik) einen ebenfalls zentralen Ausdruck geprägt, der heute mit dem Systembegriff eng verbunden ist. Ein weiteres verwandtes Konzept ist die Tektologie Alexander Bogdanows.

Systemlehre (Ludwig von Bertalanffy)

Ludwig von Bertalanffy führte ein neues wissenschaftliches Paradigma ein, das er als Gegenentwurf zur klassischen Physik positionierte. Er kritisierte deren deduktive Verfahren und die damit einhergehende isolierte Betrachtung von Einzelphänomenen. Für die Biologie sei diese Methode nicht adäquat. Anstelle von Einzelphänomenen, die in der Realität niemals isoliert aufträten, seien diese Phänomene in ihrer Vernetzung zu beschreiben. Daher setzte er der isolierten Einzelbetrachtung den Systembegriff entgegen, wobei dieser Begriff eine Menge von Elementen und deren Relation untereinander beschreiben soll. Als ein solches Modell betrachtete er die „organisierte Komplexität“. Während die klassische Wissenschaft „unorganisierte Komplexität“ erfolgreich beschrieben habe, stehe die theoretische Erfassung organisierter Komplexität vor neuen Herausforderungen. Organisierte Komplexität sei gegeben, wenn Einzelphänomene nicht schlicht linear logisch miteinander gekoppelt seien, sondern Wechselwirkungen unter ihnen bestünden. Sei dies der Fall, könne eine exakte Beschreibung der reziproken Vernetzungsbedingungen ein Bild von der Einheit der Summe jener Einzelphänomene vermitteln. Die Systemlehre untersucht somit die Organisationsformen komplexer Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Elementen jenseits linear darstellbarer Relationen und einfacher Kausalität. Dabei unterschied von Bertalanffy zwischen offenen und geschlossenen Systemen. Ein geschlossenes System wird als binnenstabil und über keine Wechselwirkungen mit der Umwelt verfügend beschrieben. In einem solchen System gibt es strenggenommen keine organisierte Komplexität, da sich die Elemente im Gleichgewichtszustand in mathematisch eindeutiger Weise zueinander verhalten. Ein offenes System dagegen verfügt über variablisierte Relationen seiner Elemente, die durch nichtprognostizierbare Umwelteinflüsse verändert werden. Die interne Variabilität ermöglicht es dem System, sich in einem dynamischen Umfeld relativ zu stabilisieren (Fließgleichgewicht). Offene Systeme entfalten also im Austausch mit ihrer Umwelt eine Dynamik und variieren ihre Zuständlichkeit ohne dabei ihre Systemstrukturen vollständig ändern zu müssen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht kausal von außen beeinflusst werden, sondern ihre interne Organisation bei Umweltveränderungen selbst umstellen („Black Box“-Theorem). Dies wird als Selbstorganisation bezeichnet und kann als Paradigma organisierter Komplexität gelten.

Gegen das „Newtonsche Weltbild“ setzte von Bertalanffy also seinen Gedanken einer allgemeinen, interdisziplinären Systemlehre. Auch in Wissenschaftsgebieten, die sich nicht in den Rahmen physikalisch-chemischer Gesetzmäßigkeiten einordneten – etwa der Biologie oder der Soziologie -, träten dennoch exakte Gesetzmäßigkeiten auf, die durch passend gewählte Modellvorstellungen abgebildet werden könnten.

Die Systemlehre wurde als allgemeine Naturwissenschaft des Lebens konzipiert. In der Systemlehre werden energetisch offene Systeme beschrieben. L. von Bertalanffy argumentierte vor dem Hintergrund der physikalischen Auffassung der Thermodynamik (Wärmetod). Offene Systeme können Energie aus ihrer Umwelt aufnehmen und sich so zu höherer Ordnung entwickeln, also die globale thermodynamische Entropie lokal umgehen. Die Systeme der Systemlehre sind Lebewesen, der wesentliche Prozess ist die Osmose, die in einem Fließgleichgewicht (steady state) verläuft.

Die Informations- und Regelungsprozesse wurden von L. von Bertalanffy mathematisch formuliert.

Kybernetik

Die Kybernetik behandelt operationell geschlossene (nach W. Ashby “informationsdichte”) Mechanismen. Sie wurde als Regelungs- und Kommunikationstheorie konzipiert. Der Fokus der Kybernetik liegt auf Regelung und Steuerung. Deshalb kommen in der Kybernetik als Systeme in erster Linie geregelte Mechanismen in Betracht. Die Regelung beruht immer auf Prozessen, die mit der mathematischen Systemtheorie der Technik beschrieben werden. L. von Bertalanffy hat sich gegen die Vermischung seiner Systemlehre und der Kybernetik ausgesprochen, weil er das mechanistische Denken der Kybernetik für die Beschreibung von Leben nicht als adäquat erachtete. Heute wird der Ausdruck „Systemtheorie“ aber beliebig für beides auf drittes verwendet.

Generelle Erweiterungen der Kybernetik

Als Systemtheorie 2. Ordnung bezeichnet man Systemtheorien, die in folgendem Sinne selbstbezüglich sind: Mit der jeweiligen Systemtheorie wird der Systemtheoretiker, der die Theorie macht, beschrieben. Der Kernbegriff ist deshalb die Beobachtung des Beobachters.

Heinz von Foerster hat den Begriff der 2. Ordnung eingeführt, er sprach von second-order cybernetics oder von cybernetics of cybernetics. Die Systemtheorie 2. Ordnung ist eine erkenntnistheoretische Interpretation der Systemtheorie, in welcher untersucht wird, was der Systemtheoretiker als System theoretisch wissen kann. Systeme 2. Ordnung werden auch vom Radikalen Konstruktivismus (RK) benutzt.

Als Autopoiesis bezeichnet Humberto Maturana sowohl seine Systemtheorie wie auch den wesentlichen Prozess, den er mit seiner Theorie beschreibt, nämlich das Leben. Maturana beschreibt, grob gesehen, das gleiche wie von Bertalanffy in seiner Systemlehre, er argumentiert aber kybernetisch: er spricht von lebenden (autopoietischen) Maschinen, die operationell geschlossen sind.

Als Selbstorganisation bezeichnet man Prozesse, die wie die Autopoiese zu höheren strukturellen Ordnungen führen, ohne dass ein steuerndes Element erkennbar ist. Ein exemplarisches Beispiel ist der Laserstrahl, anhand dessen die Theorie von H. Haken auch entwickelt wurde .

Der Radikale Konstruktivismus wurde von Ernst von Glasersfeld entwickelt. Er hat dabei auf die Arbeiten von Jean Piaget zurückgegriffen. Die Denkweise von Piaget war konstruktivistisch und epistemologisch. Ernst von Glasersfeld argumentiert insbesondere auch mit der operationellen Geschlossenheit von Systemen.

Als System Dynamics bezeichnet man die Modellierung mit Regelkreisen. Bekannt gemacht hat das Verfahren Jay Wright Forrester durch das Weltmodell „World3“, anhand dessen in der Club of Rome-Publikation Limits to Growth (Die Grenzen des Wachstums, Dennis L. Meadows 1972) der globale Rohstoffverbrauch prognostiziert wurde.

Fachspezifische Erweiterungen der Kybernetik

  • Technologische Kybernetik (Automatik, Informatik, Systemtheorie der Technik)
  • Biologische Kybernetik (biologische Autopoiesis, Biologische Kybernetik)
  • Sozietale Kybernetik (Sozialkybernetik, politische Kybernetik)
  • Ökonomische Kybernetik (Dynamische Systemmodelle in der Wirtschaftsmathematik und im Bereich Produktion+Logistik)

Soziologische Systemtheorie

Als wichtigste Vertreter der Soziologischen Systemtheorie gelten Talcott Parsons (handlungstheoretische Systemtheorie) und Niklas Luhmann (kommunikationstheoretische Systemtheorie).

Systemtheorie bei Parsons:

Der soziologische Systembegriff geht auf Talcott Parsons zurück. Parsons betrachtet dabei Handlungen als konstitutive Elemente sozialer Systeme. Er prägte den Begriff der strukturell-funktionalen Systemtheorie.

Erweiterung und Neuformulierung durch Luhmann:

Hauptartikel: Systemtheorie (Luhmann)

Luhmann unterscheidet drei besondere Typen sozialer Systeme: Interaktionssysteme, Organisationssysteme und Gesellschaftssysteme. Die Gesellschaft ist dabei ein System höherer Ordnung, ein System „anderen Typs“. Sie umfasst die anderen Systeme, ohne dass sie in ihr aufgehen. Luhmann bezeichnet sein Systemmodell als „operatives Systemmodell“, d. h. ein System wird als die Verkettung von kommunikativen Operationen betrachtet. Luhmanns Systemmodell ist daher eher zeitlich als räumlich geprägt.

Theorie komplexer Systeme

Die neueste Strömung ist die Theorie komplexer Systeme (Vertreter u. A. Stuart Kauffman). Ein komplexes System ist dabei ein System, dessen Eigenschaften sich nicht vollständig aus den Eigenschaften der Komponenten des Systems erklären lassen. Komplexe Systeme bestehen aus einer Vielzahl von miteinander verbundenen und interagierenden Teilen, Entitäten oder Agenten.

  • Komplexe Adaptive Systeme

Die Theorie der Komplexen adaptiven Systeme (John H. Holland, Murray Gell-Mann, Harold Morowitz, W. Brian Arthur) beruht vorwiegend auf den Arbeiten des Santa Fe Institute. Diese neue Komplexitätstheorie, die Emergenz, Anpassung, und Selbstorganisation beschreibt, basiert auf Agenten und Computersimulationen, die Multiagentensysteme (MAS) einschließen, die zu einem wichtigen Instrument bei der Erforschung von sozialen und komplexen Systemen wurden.

Verwandte Gebiete

Diese vier Hauptrichtungen haben Vorläufer, Unterabteilungen, Entwicklungen, Anwendungen in den Fachdisziplinen.

Informationstheorie

Die Informationstheorie wurde entwickelt von Claude Elwood Shannon und Warren Weaver. Wichtige Begriffe sind: Information, Entität, Entropie, Informationsübertragung, Datenkompression, Kodierung, Kryptographie, Komplexitätstheorie.

Die Chaosforschung (David Ruelle, Edward N. Lorenz, Mitchell Feigenbaum, Stephen Smale, James Yorke) beschäftigt sich mit bestimmten nichtlinearen dynamischen Systemen, die eine Reihe von Phänomenen aufweisen, die man Chaos (genauer: chaotisches Verhalten) nennt. Eines dieser Phänomene ist der Schmetterlingseffekt, der besagt, dass kleine Änderungen unerwartet große Effekte haben können. Benannt wurde der Effekt von Edward N. Lorenz. Weitere Vertreter sind Benoît Mandelbrot und Henri Poincaré. Chaotische Systeme sind zum Beispiel Wetter, Klima, Plattentektonik, Turbulenz, Wirtschaftskreisläufe, Internet und das Bevölkerungswachstum.

Katastrophentheorie

Die Katastrophentheorie (René Thom, Erik Christopher Zeeman) ist ein Zweig der Mathematik, der sich mit den Verzweigungen von dynamischen Systemen beschäftigt und beschreibt plötzliche Veränderungen, die sich aus kleinen Veränderungen von Umständen ergeben.

Konnektionismus

Der Konnektionismus versteht ein System als Wechselwirkungen vieler vernetzter, einfacher Einheiten. Die meisten konnektionistischen Modelle beschreiben die Informationsverarbeitung in Neuronennetzen. Sie bilden eine Brücke zwischen biologischer Forschung und technischer Anwendung.

weitere

Medizinische Kybernetik

Die Medizinische Kybernetik umfasst die Anwendung systemtheoretischer, nachrichtentheoretischer, konnektionistischer und entscheidungsanalytischer Konzepte für biomedizinische Forschung und klinische Medizin.

Medizinische Systemtheorie

Das Ziel der Medizinischen Systemtheorie ist es, die komplexen Zusammenhänge des physischen Systems und deren spezifische vernetzte Funktionsweise besser zu verstehen. Dabei werden physiologische Dynamiken im gesunden und erkrankten Organismus identifiziert und systemtheoretisch modelliert.

Dialektische Systemtheorie

Die Dialektische Systemtheorie geht davon aus, dass der Begriff System, verstanden als ein strukturiertes Ganzes, für die Wissenschaft als konstitutiv verstanden werden muss. Als Gegenbegriff des Systems wird das Chaos gesetzt. Der so verstandene Systembegriff und die Leitunterscheidung System und Chaos werden vor allem bei Kant und Hegel formuliert.

Philosophie lebender Systeme

Die „Philosophie lebender Systeme“ interpretiert menschliches Verhalten als Resultat zweier gegensätzlicher Gruppen von Regelkreisen. Regelkreise mit negativer Rückkopplung steuern die Selbsterhaltungsprozesse (Stoffwechsel), Regelkreise mit positiver Rückkopplung steuern Wachstumsprozesse. Diese belohnen den erwünschten Effekt: der sexuelle Orgasmus belohnt das Verhalten, das zum Wachstum des Systems höherer Ordnung führt (Bevölkerungswachstum). Erst der Mensch ist durch seine geistigen Fähigkeiten in der Lage, dieser biologischen Steuerung entgegenzuwirken.

Universalitätsanspruch

Ein Charakteristikum dieser theoretischen Ansätze ist der Anspruch, eine formale Theorie zu erarbeiten, die möglichst umfassend anwendbar ist. Dieser Anspruch geht vor allem aus Ludwig v. Bertalanffys Werk Allgemeine Systemtheorie hervor: „Wenn wir … den Begriff des Systems entsprechend definieren, so finden wir, dass es Modelle, Prinzipien und Gesetze gibt, die für verallgemeinerte Systeme zutreffen, unabhängig von der Natur dieser Systeme.“ Auch heute ist es diese Ausrichtung, die systemtheoretische Ansätze attraktiv erscheinen lässt, auch wenn das Ziel bislang unerreicht ist. So verbindet etwa das Santa Fe Institute mit seiner „Theorie komplexer adaptiver Systeme“ einen universellen Erklärungsanspruch.

Die „Theorie Sozialer Systeme“ Niklas Luhmanns teilt diese Ausrichtung nicht unmittelbar, weil sie sich auf stabile soziale Systeme beschränkt und vor allem die Mechanismen ihrer Selbstreproduktion (Autopoiesis) untersucht.

Begriffe der Systemtheorie

Der zentrale Grundbegriff der Systemtheorie ist das System (nach gr. to systeme = Zusammenstellung). Die Annahme, es gäbe Systeme, kann als Grundaxiom dieses Ansatzes betrachtet werden.

Ein System ist etwa wie folgt definiert:

  1. Ein System ist begrenzt und abgrenzbar (System/Umwelt-Differenz). Es besteht aus einer Systemgrenze („Boundary“), einem Systemkern, Systemelementen, dem Zusammenwirken dieser Elemente sowie aus Energie oder Signalen. Wird etwas über die Systemgrenzen hinweg transportiert ist dieses System ein offenes, sonst ein geschlossenes System. Alles außerhalb der Systemgrenze Liegende ist nicht Teil des Systems, sondern dessen Umwelt.
  2. Ein System ist eine Menge von Elementen, die in einem abgegrenzten oder abgrenzbaren Bereich so zusammenwirken, dass dabei ein vollständiges, sinnvolles, zweck- und zielgerichtetes Zusammenwirken in einem funktionellen Sinne erzielbar wird.
  3. Aufbau und Funktionsweise eines Systems hängen von dem Standpunkt des Betrachters ab.

 

Release 2011.07.31

 

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